Öffentliche Stellen sind verpflichtet, ihre Websites barrierefrei zu gestalten. Internetauftritte der Privatwirtschaft unterliegen bisher keinen entsprechenden Vorgaben – doch mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) sind diese bereits verbindlich beschlossen. Wann treten die Anforderungen in Kraft? Wer ist betroffen? Wie können sich Unternehmen vorbereiten? Antworten gibt dieser Beitrag.

1. Was bisher geschah: Anforderungen an öffentliche Websites & Apps

Um Menschen mit besonderen Herausforderungen die Teilhabe an digitalen öffentlichen Angeboten zu erleichtern, hat die Europäische Union (EU) bereits 2016 in der EU-Websitesrichtlinie 2016/2102 Mindestanforderungen an die Barrierefreiheit vorgesehen. Diese Richtlinie wurde in Deutschland auf Bundesebene durch Anpassungen im Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) und durch Erlass der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV) umgesetzt. Auch auf Landesebene wurden die jeweiligen Gleichstellungsgesetze geändert und darin auf die BITV oder auf eigenständige Landesverordnungen verwiesen. Aufgrund dieser gesetzlichen Vorgaben müssen die verpflichteten öffentlichen Stellen

  • Webangebote und Apps technisch barrierefrei gestalten,
  • Erklärungen über die Barrierefreiheit zur Verfügung stellen,
  • Erläuterungen in leichter Sprache und Gebärdensprache erteilen und
  • ggf. der zuständige Überwachungsstelle über die Barrierefreiheit berichten.

2. Der nächste Schritt: Barrierefreiheit in der Privatwirtschaft

Im nächsten Schritt nahm die EU auch Wirtschaftsakteure in den Fokus und erlies im April 2019 die Richtlinie (EU) 2019/882 über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen. Zur Umsetzung dieser Richtlinie hat der Bundestag im Mai 2021 das BFSG verabschiedet. Danach müssen ab dem 28.06.2025 auch zahlreiche in Deutschland tätige Wirtschaftsunternehmen ihre Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr barrierefrei gestalten. Was das konkret bedeutet und wen es betrifft, wird im Folgenden gezeigt.

3. Wen verpflichtet das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG)?

Das BFSG hat einen breiten Anwendungsbereich, der IT-Produkte und -Dienstleistungen umfasst, die sich an Verbraucher richten und ab dem 28. Juni 2025 in den Verkehr gebracht werden. Die betroffenen Produkte umfassen Computerhardware, Betriebssysteme, Selbstbedienungsterminals, Endgeräte zur Nutzung von TK-Diensten und Mediendiensten sowie E-Book-Reader (§ 1 Abs. 2 BFSG). Zu den erfassten Dienstleistungen zählen TK-Dienste, Websites und Apps überregionaler Verkehrsanbieter, Bankdienstleistungen, E-Books und ganz allgemein „Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr“ (§ 1 Abs. 3 BFSG). Somit müssen ab dem Stichtag – 28. Juni 2025 – insbesondere auch sämtliche B2C-Anbieter, die ihre Waren oder Dienstleistungen über Websites oder Apps vertreiben, die Vorgaben des BFSG beachten.

4. Was bedeutet Barrierefreiheit?

Die vom BFSG erfassten Produkte und Dienstleistungen müssen barrierefrei gestaltet werden (§ 3 Abs. 1 BFSG). Sie entsprechen dieser Vorgabe, „wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind.“ Welche konkreten Anforderungen sich daraus für die Gestaltung von Produkten und Dienstleistungsangeboten ergeben, soll durch eine noch zu erlassende Rechtsverordnung geregelt werden.

Hersteller und Diensteanbieter müssen jedoch nicht auf den Erlass dieser Verordnung warten, um sich vorzubereiten. Denn nach der Konformitätsvermutung des § 4 BFSG gelten Produkte und Dienstleistungen als barrierefrei, soweit sie die offiziell von der EU vorgegebenen Normen zur Barrierefreiheit erfüllt. Dies ist die Europäische Norm (EN) 301 549 mit dem Titel „Accessibility requirements for ICT products and services“ – aktuell in Version 3.2.1 (PDF) –, welche von der EU- Kommission zum harmonisierten Standard für Websites und Apps erklärt wurde (siehe Amtsblatt der EU).

5. Wann ist eine Website barrierefrei?

Die EN 301 549 nimmt hinsichtlich der Anforderungen für Websites Bezug auf die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) des World Wide Web Consortium (W3C). Die WCAG liegen derzeit in Version 2.1 vor. Sie formulieren Anforderungen an die Wahrnehmbarkeit, Bedienbarkeit, Verständlichkeit und Robustheit von Webinhalten. Dabei werden drei Anforderungsniveaus unterschieden: A, AA und AAA. Die europäische Norm übernimmt das mittlere Anforderungsniveau (AA). Betreiber von B2C-Websites, die dieses Niveau erfüllen, entsprechen damit den ab dem 28 Juni 2025 verbindlichen Vorgaben für solche Websites auf dem deutschen Markt. Die wesentlichen Anforderungen sind:

Wahrnehmbarkeit:

  • Für die Elemente einer Website sollen funktional vergleichbare Alternativen in einer anderen Darstellungsform verfügbar sein (zum Beispiel Text als Alternative für nicht-textliche Elemente). Die WCAG definieren für Videos, Audiodateien und andere Medientypen detaillierte Anforderungen an diese Alternativen (z.B. kann für unvertonte Videos alternativ eine Audiospur oder ein Drehbuch bereitgehalten werden) und an sonstige bereitzustellende Hilfsmittel wie Untertitel und Beschreibungstexte.
  • Die präsentierte Information, ihre Struktur, Reihenfolge und Bedeutung einschließlich der von Eingabefeldern automatisiert auslesbar sein. Dies erleichtert die Entwicklung digitaler Assistenten.
  • Inhalte müssen klar unterscheidbar sein. Farbgebung darf nicht das einzige Unterscheidungsmerkmal sein und es gibt Mindestanforderungen an den Kontrast und die Zeilen-, Zeichen- und Wortabstände.
  • Websites müssen sich der Bildschirmausrichtung und der Auflösung der Nutzenden anpassen (ohne Notwendigkeit zum zweidimensionalen Scrollen).

Bedienbarkeit:

  • Links müssen selbsterklärend sein. Seitentitel, Überschriften und Labels müssen den Gegenstand und Zweck des jeweiligen Abschnitts erkennen lassen.
  • Nutzer:innen muss genügend Zeit eingeräumt werden, um Inhalte zu lesen und zu nutzen. Animierte oder blinkende Inhalte müssen pausiert oder ausgeblendet werden können. Aufblitzende Inhalte sind zu begrenzen, um Schlaganfällen vorzubeugen.
  • Websites müssen vollständig per Tastatur bedienbar sein. Einzelne Seiten einer Website müssen grundsätzlich auf mehreren Wegen erreichbar sein.
  • Funktionen, die per Multi-Touch oder über Gesten (Wischen etc.) aufgerufen werden können, müssen auch durch einfach Klicks erreichbar sein. Wenn Funktionen über eine Bewegung der Nutzer:in oder des Geräts ausgelöst werden können, muss dies deaktivierbar sein und alternative Steuermöglichkeiten müssen bereitstehen.

Verständlichkeit:

  • Sprachliche Inhalte müssen für digitale Assistenten auswertbar sein.
  • Erscheinungsbild und Bedienung einer Website müssen vorhersagbar sein. Zum Beispiel sollen wiederholt auftretende Elemente dieselbe Funktion haben.
  • Eingabefehler sollen automatisch erkannt, hervorgehoben und beschrieben werden. Soweit möglich, sind Korrekturvorschläge bereitzustellen.

Robustheit:

  • Websites sollen auf verschiedenste bestehende und zukünftige Clients ausgelegt werden. Hierzu zählen auch smarte Assistenten.
  • Websites sollen Meta-Informationen zur Auswertung durch digitale Assistenten enthalten (zum Beispiel Namen, Funktion und Wert der Bedienelemente; Statusmeldungen).

6. Wie können sich Website-Betreiber vorbereiten?

Auch wenn das BFSG erst in gut drei Jahren in Kraft tritt, sollten Betreiber von B2C-Websites sich frühzeitig vorbereiten und erwägen ihre Internetauftritte bereits jetzt barrierefrei zu gestalten.

  • Barrierefreiheit umsetzen: Der Aufwand ist von der Komplexität der Website abhängig, aber in aller Regel gut darstellbar. Moderne Designframeworks, die in der Webentwicklung verbreitet sind, unterstützen viele der geforderten Funktionen standardmäßig, was die Umsetzung erleichtert. Zudem sind Websites WCAG-konform, wenn sie entweder selbst die Anforderungen des WCAG erfüllen oder von dort aus eine WCAG-konforme, alternative Version der Seite erreichbar ist (WCAG Anforderung 5.2.1). Damit können auch individuell entwickelte, komplexe Websites weitestgehend unverändert bleiben, wenn eine WCAG-konforme Alternativ-Version für jede Seite geschaffen wird.
  • Test und ggf. Zertifizierung: Die WCAG-Konformität von Websites wird in Zukunft mehr Aufmerksamkeit gewinnen. Tools, um die eigene Website auf Barrierefreiheit zu prüfen, gibt es schon länger, ebenso Anbieter von Tests und Zertifizierungen (wie den BIK BITV-Test). Wer bereits jetzt die Anforderungen erfüllt, geht mit gutem Vorbild voran und darf dies mit gutem Gewissen auch marketingwirksam nach außen kundtun.
  • Rechtlicher Check: Spätestens vor Inkrafttreten des BFSG sollte die Website dann noch aus rechtlicher Sicht geprüft werden. Dabei gilt es, neben den Anforderungen der technischen Norm auch die Informationspflichten nach § 14 BFSG zu erfüllen (zum Beispiel durch Anpassung der AGB).