Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) gilt unmittelbar in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU). Allen Unionsbürgern ist eine Fassung in ihrer jeweiligen Landessprache zugänglich – derzeit zählt die EU 24 Amtssprachen. Anders als in den meisten internationalen Organisationen gilt dabei das Prinzip der „gleichrangigen Vielsprachigkeit“. Der Wortlaut der EU-Verträge und -Gesetze ist in allen Sprachen gleichermaßen verbindlich.

Um vor diesem Hintergrund eine kohärente Anwendung in der gesamten EU zu gewährleisten, sind gute Übersetzungen erforderlich. Doch angesichts der Sprachvielfalt sind Fehler fast unvermeidlich. In dieser Reihe stellen wir Ihnen einige Fälle vor, in denen speziell der deutsche Wortlaut missglückt ist und von den anderen Fassungen abweicht. Wir zeigen auf, welche Auslegung mit Blick auf die anderen Fassungen sowie nach dem Sinn und Zweck der DSGVO und der Europäischen Verträge am ehesten überzeugt.

Diese Woche befassen wir uns mit einer elementaren Bestimmung der DSGVO, nämlich Art. 3 DSGVO. Diese regelt, unter welchen Umständen die DSGVO räumlich anwendbar ist. Konkret geht es hier um Art. 3 Abs. 3 DSGVO, der einen interessanten Sonderfall der territorialen Anwendbarkeit regelt. Im Folgenden zeigen wir die sprachliche Abweichung auf (1), gehen kurz auf die dadurch entstehenden inhaltlichen Unterschiede ein (2) und lösen abschließend die Differenz durch Auslegung auf (3).

 

1. Die sprachliche Abweichung

Art. 3 Abs. 3 DSGVO der deutschen Fassung lautet:

Diese Verordnung findet Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten durch einen nicht in der Union niedergelassenen Verantwortlichen an einem Ort, der aufgrund Völkerrechts dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegt.

Die englische Fassung des Art. 3(3) GDPR lautet:

This Regulation applies to the processing of personal data by a controller not established in the Union, but in a place where Member State law applies by virtue of public international law.

 

2. Der inhaltliche Unterschied

Art. 3 Absatz 3 DSGVO trifft eine Regelung über die Anwendbarkeit der DSGVO auf Orte, die nicht zur EU gehören, aber gleichwohl nach dem Völkerrecht dem Recht eines EU-Mitgliedstaats unterliegen. Dies gilt zum Beispiel für Schiffe oder Flugzeuge über dem offenen Meer (Art. 12 S. 3, Art. 17 Abkommen über die Internationale Zivilluftfahrt). Außerdem gilt die Vorschrift auch für Botschaften und konsularische Vertretungen; diese unterliegen nach dem Völkerrecht dem Recht des Entsendestaates.

Verblüffenderweise regeln die deutsche und die englische Fassung diese Fälle unterschiedlich. Nach der deutschen Fassung ist die DSGVO anwendbar, wenn der Ort der Verarbeitung, nach der englischen Fassung, wenn stattdessen der Ort der Niederlassung des Verantwortlichen dem mitgliedstaatlichen Recht unterliegt. Bei genauerer Analyse ergeben sich vier Fallkonstellationen (Verarbeitungs- und Niederlassungsort können jeweils dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegen oder nicht), von denen die Sprachfassungen im Ergebnis zwei Fälle identisch und zwei genau entgegengesetzt regeln. Deutlich wird dies an einem Schaubild:

Legende: N = Ort der Niederlassung des Verantwortlichen; V = Ort der Verarbeitung

Im blauen Bereich des Bildes gilt aufgrund einer völkerrechtlichen Regelung das Recht eines EU-Mitgliedstaats (hier als Beispiel ein Schiff, dass unter der Flagge eines EU-Staats fährt). Außerhalb des blauen Bereichs ist keines der Rechte der EU-Mitgliedstaaten anwendbar (zum Beispiel kann hier das Recht eines Drittstaats gelten).

  • Fall 1: Der Ort der Verarbeitung und der Ort der Niederlassung des Verantwortlichen unterliegen aufgrund völkerrechtlicher Regelungen mitgliedstaatlichem Recht. ⇒ Nach beiden Fassungen gilt die DSGVO.
  • Fall 2: Weder der Ort der Verarbeitung noch der Ort der Niederlassung des Verantwortlichen unterliegen mitgliedstaatlichem Recht. ⇒ Nach keiner Fassung gilt die DSGVO.
  • Fall 3: Der Ort der Verarbeitung unterliegt aufgrund völkerrechtlicher Regelungen mitgliedstaatlichem Recht, der Ort der Niederlassung des Verantwortlichen jedoch nicht. ⇒ Nur nach der deutschen Fassung gilt die DSGVO, da der Ort der Verarbeitung maßgeblich ist. Stellt man mit der englischen Fassung auf den Ort der Niederlassung ab, so gilt die DSGVO nicht.
  • Fall 4: Der Ort der Niederlassung des Verantwortlichen unterliegt aufgrund völkerrechtlicher Regelungen mitgliedstaatlichem Recht, nicht jedoch der Ort der Verarbeitung. ⇒ Nur nach der englischen Fassung gilt die DSGVO, da auf den Ort der Niederlassung abgestellt wird. Stellt man auf den Ort der Verarbeitung ab (deutsch), fällt diese aus dem Anwendungsbereich.

 

3. Auslegung

Da der Regelungsgehalt der beiden Fassungen abweicht, stellt sich die Frage, wie Art. 3 Abs. 3 DSGVO in der Praxis anzuwenden ist, also welche der beiden Regelungen gelten soll. Der zugehörige Erwägungsgrund 25 hilft zum Verständnis leider nicht weiter, weil er nicht zwischen Verarbeitungs- und Niederlassungsort unterscheidet.

Im Ergebnis lässt sich jedoch klar feststellen, dass die englische Fassung überzeugender ist. Dies aber nicht etwa, weil sie Priorität gegenüber der deutschen Fassung hätte – wenngleich einige ersten Vorentwürfe zur DSGVO in englisch verfasst waren. Mehrfach hat der EuGH klargestellt, dass alle Sprachfassungen gleichwertig sind und zur Lösung sprachlicher Divergenzen vielmehr der Telos (Sinn und Zweck) des Gesetzes und die systematische Auslegung heranzuziehen sind. Was also spricht für die englische Fassung?

  • Zum einen legen auch die anderen Sprachfassungen den Bezugspunkt auf den Ort der Niederlassung und nicht auf den Ort der Verarbeitung. Soweit ersichtlich, steht die deutsche Fassung mit ihrem Bezug auf den Verarbeitungsort allein (herangezogen haben wir noch die dänische, französische, italienische, niederländische, polnische, rumänische und spanische Fassung). Auch wenn alle Sprachfassungen gleichrangig und gleich verbindlich sind, so zeigt doch ein Verhältnis von (wohl) 1:23, dass es sich bei der deutschen Fassung offensichtlich um ein Redaktionsversehen handeln muss. Der Übersetzungsfehler hatte sich bereits in den ersten Kommissionsentwurf eingeschlichen. Auf dem Weg zu den Trilogverhandlungen blieb er bis zum Schluss unerkannt (siehe die Entwürfe von Parlament und Rat).
  • Zum anderen knüpft Art. 3 Abs. 1 und Abs. 2 DSGVO ausdrücklich nicht an den Ort der Verarbeitung, sondern entweder den Ort der Niederlassung oder den Aufenthaltsort des Betroffenen an. Es würde zu Wertungswidersprüchen führen, wenn nun in den Fällen des Art. 3 Abs. 3 DSGVO der Verarbeitungsort maßgeblich sein sollte. Auch aus systematischer Hinsicht ist daher die englische Leseart überzeugender.
  • Zu guter Letzt kann noch historisch angeführt werden, dass schon Art. 4 Abs. 1 lit. b Datenschutzrichlinie (DSRL) sowohl in der englischen als auch in der deutschen Fassung auf den Ort des Sitzes abstellte.

Damit ist die deutsche Fassung von Art. 3 Absatz 3 DSGVO gegen den Wortlaut so auszulegen wie die englische (und alle anderen) Sprachfassungen. Sie ist also wie folgt zu lesen:

„Diese Verordnung findet Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten durch einen Verantwortlichen, der nicht in der Union niedergelassenen Verantwortlichenist, aber an einem Ort, der aufgrund Völkerrechts dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegt.“

Exkurs: Die juristischen Dogmatiker sprechen in so einem Fall nicht mehr von einer Auslegung, weil der Wortlaut die natürliche Grenze der Auslegung bildet und diese hier überschritten werden muss. Die Rede ist dann von einer „telelogischen Reduktion“ bzw. „teleologischen Erweiterung“ der Regelung, mit der man – entgegen dem Wortlaut – den Sinn der Norm zur Geltung bringen will. Und wie im Lehrbuch trifft hier beides zu: Im Fall 3 darf man Art. 3 Abs. 3 DSGVO in der deutschen Fassung nicht anwenden (teleologische Reduktion); im Fall 4 hingegen ist Art. 3 Abs. 3 DSGVO entgegen dem deutschen Wortlaut anwendbar (teleologische Erweiterung).