Das aktuelle Gesetzespaket zum digitalen Binnenmarkt besteht neben dem Digital Service Act, der Gegenstand eines vorherigen Beitrags war, aus einer zweiten Verordnung: Mit dem Gesetz über digitale Märkte (Digital Markets Act) möchte die EU zentrale Plattformdienste in den Blick nehmen und strengeren Regelungen unterwerfen. Ziel ist es, digitale Märkte fairer zu gestaltet und unangemessene Geschäftshandlungen zu unterbinden. Welche Unternehmen sich als sogenannte „Gatekeeper“ auf neue Pflichten aus dem Digital Markets Act einstellen müssen und welche neuen Regelungen konkret auf diese Unternehmen zukommen, lesen Sie in diesem Blogbeitrag.
Was ist der Digital Markets Act?
Mit dem Digital Markets Act möchte die EU künftig die Macht der Kernplattformanbieter begrenzen, die sich über die letzten beiden Jahrzehnte als zentrale Plattformdienste mit Millionen von Nutzern und jährlichen Milliardenumsätzen herausgebildet haben. Zu diesen zentralen Plattformanbietern, die im Digital Markets Act als „Gatekeeper“ bezeichnet werden, zählen vor allem Unternehmen wie Amazon, Apple, Alphabet, Meta und Microsoft. Haben „Gatekeeper“ eine gefestigte marktbeherrschende Stellung, können sie anderen Unternehmen und Endnutzern unfaire Bedingungen aufzwingen und kleineren Plattformanbietern eine Marktteilnahme unter fairen Bedingungen erschweren oder unmöglich machen.
Besonders in den sich schnell entwickelnden Technologiemärkten waren die europäischen Staaten nicht mehr ausreichend in der Lage, mit den bestehenden (nationalen) Regeln zum Kartellrecht und Wettbewerbsrecht möglichen Wettbewerbsbeschränkungen entgegenzuwirken. Außerdem drohte bei Anwendung unterschiedlicher Gesetze und Regelungen in den europäischen Staaten eine Fragmentierung des europäischen Binnenmarktes, für dessen Funktionieren gerade einheitliche Regelungen erforderlich sind. Diese Regeln sollen nun durch den Digital Markets Act geschaffen werden. Als Verordnung der Europäischen Union ist der Digital Markets Act in den Mitgliedsstaaten direkt anwendbar und soll dem Missbrauch marktbeherrschender Stellung von sogenannten „Gatekeepern“ entgegenwirken und faire Märkte mit geringen Eintrittshürden schaffen und dadurch Innovationen, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit fördern.
Welche Unternehmen werden als „Gatekeeper“ vom Digital Markets Act erfasst?
Der Digital Markets Act richtet sich an sogenannte „Gatekeeper“ mit großen Umsätzen und Nutzerzahlen. Art. 3 Abs. 1 Digital Markets Act legt die engen objektiven Kriterien fest, die erfüllt sein müssen, damit ein Unternehmen als „Gatekeeper“ von den Regeln des Digital Markets Act erfasst wird.
Zunächst muss das Unternehmen mindestens einen „zentralen Plattformdienst“ betreiben. Gemeint sind damit Online-Vermittlungsdienste, Suchmaschinen, Soziale Netzwerke, Video-Sharing-Plattform-Dienste, Kommunikationsdienste, Betriebssysteme, Cloud-Computing-Dienste und Werbedienste (einschließlich Werbenetzwerke), Webbrowser und virtuelle Assistenten.
Ein Betreiber zentraler Plattformdienste wird als „Gatekeeper“ benannt, wenn er
- erhebliche Auswirkungen auf den Binnenmarkt hat – davon wird ausgegangen, wenn das Unternehmen in jedem der letzten drei Geschäftsjahren im europäischen Wirtschaftsraum einen Jahresumsatz von mindestens 7,5 Mrd. EUR erzielt hat oder wenn die durchschnittliche Marktkapitalisierung oder ein entsprechender Marktwert mindestens 75 Mrd. Euro betrug,
- einen zentralen Plattformdienst betreibt, der gewerblichen Nutzern als wichtiges Zugangstor zu Endnutzern dient – was erfüllt ist, wenn er monatlich mindestens 45 Millionen aktive Endnutzer in der Union und im vergangenen Geschäftsjahr mehr als 10.000 in der Union niedergelassene aktive gewerbliche Nutzer hatte, und
- hinsichtlich seiner Tätigkeit eine gefestigte und dauerhafte Position innehat oder absehbar ist, dass er eine solche Position in naher Zukunft erlangen wird – was erfüllt ist, wenn die oben genannten Schwellenwerte in jedem der vergangenen drei Geschäftsjahre erreicht wurden.
Erreicht ein Plattformbetreiber all diese Schwellenwerte, ist er verpflichtet, dies der Europäischen Kommission innerhalb von zwei Monaten nach Erreichen der Schwellenwerte mitzuteilen.
Die Europäische Kommission entscheidet dann nach spätestens 45 Tagen durch Beschluss, ob der Betreiber der Plattformdienste als Gatekeeper benannt wird. Im Einzelfall kann die Europäische Kommission aber entscheiden, dass ein Plattformanbieter trotz der erreichten Schwellenwerte nicht als Gatekeeper einzustufen ist oder umkehrt einen Plattformanbieter aufgrund struktureller Marktmerkmale als Gatekeeper zu benennen ist, obwohl er die Schwellenwerte nicht erreicht.
Welche Gebote und Verbote ergeben sich aus dem Digital Markets Act für Gatekeeper?
Gatekeeper werden nach der Benennung durch die Kommission einer umfassenden Verhaltenskontrolle unterworfen und müssen neue Gebote und Verbote einhalten, durch die kleineren Plattformanbietern und Start-Ups ein fairer Wettbewerb ermöglicht werden soll.
Gatekeeper müssen insbesondere
- sicherstellen, dass die grundlegenden Funktionen ihrer Sofortnachrichtendienste interoperabel gestaltet sind. Dies bedeutet unter anderem, dass Messengerdienste es ermöglichen müssen, dass die über ihre Plattformen versandten Nachrichten von anderen Messengerdiensten empfangen werden können und wiederum technische Möglichkeiten geschaffen werden, die Nachrichten anderer Plattformanbieter zu empfangen. Dabei sollen Sicherheitsmechanismen (End-zu-End-Verschlüsselungen) gewahrt bleiben.
- ihre Plattformdienste so gestalten, dass eine Abmeldung von dem Dienst genauso einfach ist wie die Anmeldung.
- gewerblichen Nutzern Zugang zu ihren Marketing- oder Werbedienstleistungsdaten auf der Plattform geben.
- ermöglichen, dass Apps anderer Anbieter oder aus anderen App-Stores installiert werden können.
- die Europäische Kommission über Übernahmen und Fusionen unterrichten.
Es ist Gatekeepern insbesondere verboten,
- ihre eigenen Dienste und Produkte (z.B. in Rankings) zu bevorzugen und besser zu bewerten als die der Konkurrenz.
- Nutzer daran zu hindern, vorinstallierte Apps oder Software einfach zu deinstallieren oder Standardeinstellungen in Betriebssystem zu ändern.
- die Aktivitäten der Endnutzer außerhalb des Plattformdienstes zu Zwecken gezielter Werbung ohne ausdrückliche Zustimmung weiterzuverfolgen.
Insbesondere für bisher strikt abgeschottete Plattformdienste ergeben sich damit gravierende Herausforderungen.
Hält ein „Gatekeeper“ sich nicht an die im Digital Markets Act vorgeschriebenen Regelungen, drohen schwere Sanktionen, etwa Geldbußen von bis zu 10 % des weltweiten Gesamtumsatzes des Unternehmens bzw. bis zu 20 % bei wiederholten Verstößen. Auch Zwangsgelder von bis zu 5 % des durchschnittlichen Tagesumsatzes können verhängt werden. Wird festgestellt, dass ein Gatekeeper systematisch gegen die ihm auferlegten Gebote und Verbote verstößt, kann die Europäische Kommission ihm zudem verhaltensbezogene oder strukturelle Abhilfemaßnahmen auferlegen (z.B. die Pflicht, Unternehmensteile zu verkaufen). Von einem systematischen Verstoß wird bei mindestens drei Verstößen in acht Jahren ausgegangen.
Wann treten die Reformen in Kraft?
Nachdem der Europäische Rat und das Europäische Parlament den Entwurf des Digital Markets Act am 14. September 2022 angenommen hatte, wurde dieser am 12. Oktober 2022 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Am 1. November 2022 ist der Digital Markets Act in Kraft getreten.
Der Digital Markets Act ist jedoch erst nach Ablauf einer Übergangsfrist von sechs Monaten nach dem Inkrafttreten ab dem 2. Mai 2023 anwendbar. Plattformbetreiber, die die genannten Schwellenwerte erreichen, haben dies darauf innerhalb von zwei Monaten bei der Europäischen Kommission anzuzeigen (also spätestens bis zum 3. Juli 2023). Werden die Plattformbetreiber als Gatekeeper benannt, müssen sie die Gebote und Verbote spätestens sechs Monate nach ihrer Benennung einhalten.
Worauf sollten sich Unternehmen einstellen?
Plattformanbieter sollten untersuchen, ob Sie die aufgezeigten Umsatz- und Endnutzerzahlen aus dem Digital Markets Act für die Einstufung als „Gatekeeper“ erreichen. Ist dies der Fall, müssen sie dies der Europäischen Kommission fristgerecht mitteilen. Alle Unternehmen, die die Schwellenwerte unterschreiten, können von der stärkeren Regulierung ihrer großen Konkurrenten profitieren und neue Chancen für ihre eignen Plattformen wahrnehmen.